Gendergerechte Sprache für Einsteiger*innen - Gastbeitrag mit Dr. Simone Burel & Franziska Saur

Gleichberechtigung muss auch in der Sprache zum Ausdruck kommen. Gendergerechte Sprache soll die Teilhabe und Sichtbarkeit von Frauen und nicht-binären Menschen ermöglichen. Denn oft ist eine neue Form von Sprache nötig, damit Menschen ausdrücken können, was sie denken und erleben. Sprache prägt das Denken. Wenn dieses Denken dazu führt, dass Frauen und andere Gruppen mitgedacht werden und – am Arbeitsplatz oder wo auch immer – weniger Diskriminierung erfahren, warum dann nicht bei der Sprache ansetzen? Wir erklären euch, warum das generische Maskulinum nicht mehr zeitgemäß ist, welche Ebenen gendergerechte Sprache umfasst und wie ihr ganz einfach mit eurer favorisierten Variante des Genderns durchstarten könnt.

Wim sagt: Lange Wörter vermeiden
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Das generische Maskulinum ist nicht mehr zeitgemäß

In den vergangenen Jahrzehnten war es üblich, mit dem so genannten „generischen Maskulinum“ auf Personengruppen zu referieren – auch, wenn diese Gruppen nicht nur aus Frauen bestanden. Die Idee dahinter: Die männliche Form soll bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen alle ansprechen. Es handelt sich dabei um eine gesellschaftliche Gebrauchsgewohnheit, die sich neuester Forschung zufolge im Lauf des 20. Jahrhunderts etabliert hat. In früheren Jahrhunderten waren die meisten Positionen im öffentlichen und politischen Leben von Männern besetzt, sodass sich die Frage nach dem Geschlecht gar nicht erst stellte. Mit der grammatisch männlichen Form waren meistens tatsächlich v.a. Männer gemeint (Mitarbeiter, Wähler). Das generische Maskulinum war also auch ein Spiegel sozialer Normen, die lange galten – aber zu unserem heutigen Weltbild und der gesellschaftlichen Realität nicht mehr passen.


Empirische Studien zeigen zudem, dass das „generische Maskulinum“ häufig eben nicht geschlechtsübergreifend interpretiert wird, sondern einen so genannten „Male Bias“ trägt. Was heißt das?


Männliche sprachliche Formen rufen in unseren Köpfen mentale Repräsentationen von Männern hervor. Fragt man Studienteilnehmende etwa nach berühmten Musikern oder Wissenschaftlern, nennen sie signifikant mehr männliche Personen, als wenn nach Musikerinnen und Musikern gefragt wird. Studien mit Kindern wiederum zeigen: Gendergerechte Sprache wirkt. Mädchen trauen sich eher zu, einen stereotyp männlichen Beruf zu ergreifen, wenn zusätzlich zu der männlichen (Ingenieur, Kfz-Mechatroniker) auch die weibliche Berufsbezeichnung (Ingenieurin, Kfz-Mechatronikerin) genannt wird.


Doch zur gendergerechten Sprache zählt mehr als lediglich die weibliche Endung zu verwenden. Wir unterscheiden in unseren Projekten und Workshops drei Ebenen der gendergerechten Sprache:

  • Grammatisches Gendern: Nicht-Verwendung von Wörtern oder Wortbestandteilen, die Menschen ausschließen (Leser vs. Leser:in)
  • Keine Gender-Stereotype in Wort & Bild: Nicht-Verwendung von stereotypisierenden Zuschreibungen (Frauen als redselig, Männer als stark, Bilder mit Frauen in der Unterzahl etc.)
  • Keine diskriminierenden Wörter: Nicht-Verwendung von Wortbestandteilen, die negativ konnotiert sind (Abwertungen), Zusammensetzungen, Bilder & Sprichwörter (Mädels, Putzfrau, Klatschtante, Milchmädchenrechnung, Mannschaft, Manntage, Manpower, guys, harter Hund, rennen wie ein Mädchen)

In diesem Artikel wollen wir auf das grammatische Gendern eingehen und verschiedene Möglichkeiten vorstellen, wie ihr dies umsetzen könnt. Aktuell sind verschiedene Varianten der gendergerechten Sprache verbreitet. Grob unterscheiden können wir zwischen der Paarform, verschiedenen orthografischen Varianten und unterschiedlichen Möglichkeiten der Neutralisierung. Sie alle haben Vor- und Nachteile. Denn es ist gar nicht so einfach, allen Gruppen sprachlich gerecht zu werden: Männern, Frauen, nicht-binären Personen – und auch das Thema Barrierefreiheit (Blinde, Sehbehinderte etc.) spielt dabei eine Rolle.

 

 

Paarform

Bei der Paarform werden die männliche und weibliche Form nebeneinandergestellt. Beispiele sind:

Schülerinnen und Schüler, Sehr geehrte Damen und Herren, der/die Mitarbeiter/-in

Die Paarform hat den Vorteil, dass es sich um bereits bekannte Wörter handelt und keine neuen Formen verwendet werden müssen, wie es z.B. bei den orthografischen Varianten der Fall ist. Zudem folgt die Paarform der amtlichen Rechtschreibung. Das ist vor allem für Menschen im schulischen Umfeld oder in Behörden relevant, denn in diesen Kontexten ist die amtliche Rechtschreibung verpflichtend.


Bei der Paarform werden allerdings nicht alle Geschlechtsidentitäten repräsentiert. Die Paarform ist, wie der Name anklingen lässt, binär, d.h. genau zwei Elemente (männlich und weiblich) werden benannt. Nicht-binäre oder inter Menschen werden nicht angesprochen. Außerdem werden Sätze, in denen mehrere Paarformen vorkommen, automatisch länger. Darunter kann die Verständlichkeit leiden und durch die Wiederholung von Worten stört sich auch manch Sprachstilistin und Sprachstilist.

 

 

Orthografische Varianten: Genderstar (Gendersternchen, Asterisk), Gender-Doppelpunkt, Gender-Gap (Unterstrich), Binnen-I

Inzwischen gibt es einige Varianten, bei denen ein bestimmtes Zeichen in Kombination mit der weiblichen Endung an ein Wort gehängt wird: die orthografischen Varianten. Bekannt sind die Varianten mit dem Genderstar, dem Gender-Doppelpunkt, dem Gender-Gap oder einem Binnen-I.

Beispiele: Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter:innen, Mitarbeiter_innen, MitarbeiterInnen

Sie alle haben ähnliche Vor- und Nachteile. Vor allem ist ihnen gemeinsam, dass sie alle Geschlechtsidentitäten ansprechen. Da Unterstrich und Binnen-I momentan weniger stark verbreitet sind, gehen wir nicht näher darauf ein. Den Genderstar und den Gender-Doppelpunkt stellen wir im Einzelnen vor.

 

 

Genderstar

Der Genderstar hat seinen Ursprung in der LGBTQIA+ Community und wird dementsprechend von dieser Gruppe auch als Variante des Genderns favorisiert. Vom Deutschem Blinden- und Sehbehindertenverband ist diese Variante teils anerkannt. Menschen, die sich Texte von einem Screenreader vorlesen lassen, können diesen so einstellen, dass der Genderstar als kurze Pause gelesen wird.


Wie alle orthografischen Varianten ist der Genderstar nicht Bestandteil der amtlichen Rechtschreibung. Dies könnte sich in Zukunft ändern. Momentan werden die unterschiedlichen Varianten noch vom Rechtschreibrat beobachtet. Ein weiterer Nachteil betrifft ebenfalls alle orthografischen Varianten: Sätze können komplex werden, wenn neben Substantiven auch Artikel und Adjektive gegendert werden, z.B.:

eine*n begeisterte*n Mitarbeiter*in

Alle, die optimiert für Suchmaschinen schreiben, sollten sich ebenfalls überlegen, ob der Genderstar die richtige Variante für sie ist: Manchmal werden von den Algorithmen nur die weiblichen Formen erkannt, also Mitarbeiterinnen – so, als ob kein Genderstar im Wort vorhanden wäre. Noch haben allerdings männliche Suchbegriffe ein höheres Volumen. Bis sich der Google-Algorithmus an diese Variante angepasst hat, kann es sein, dass ihr nicht so gut gefunden werdet.

 

 

Gender-Doppelpunkt

Wie der Genderstar spricht auch der Gender-Doppelpunkt alle Geschlechtsidentitäten an. Er wird von konservativeren Gruppen eher akzeptiert als der Genderstar, da er sich unauffälliger in das Schriftbild integriert und zudem als Satzzeichen schon bekannt ist. Auch SEO-technisch hat er einen Vorteil gegenüber dem Genderstar: Sowohl die männliche als auch die weibliche Form werden erkannt – allerdings nur, wenn die komplette männliche Form im Wort enthalten ist. D.h.: Mitarbeiter:innen wird erkannt, doch bei Kund:innen kann z.B. der Google-Algorithmus keine männliche Form erkennen.


Neben diesen Vorteilen gibt es auch beim Gender-Doppelpunkt einige Nachteile. Er ist als Gender-Zeichen nicht Bestandteil der amtlichen Rechtschreibung. Genau wie beim Genderstar kann die Komplexität von Sätzen steigen:

eine:n begeisterte:n Mitarbeiter:in

Die zusätzliche Funktion als Interpunktionszeichen kann zur Verwirrung führen. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband lehnt den Doppelpunkt zum Gendern ab, da Menschen mit Sehbeeinträchtigung den Punkt innerhalb des Wortes schlecht erkennen können.

 

 

Neutralisierung & geschlechtsneutrale Wörter

„Neutralisierung“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Strategien, um geschlechtsneutral zu schreiben. Dazu zählen z. B. aus dem Partizip Präsens abgeleitete Substantive (Studierende), die Verwendung von geschlechtsneutralen Synonymen (Ansprechperson statt Ansprechpartner), Passivkonstruktionen oder Umschreibungen mit Hilfe von Adjektiven (ärztliches Fachpersonal statt Arzt). Weitere Beispiele:

Mitarbeitende, Studierende, Professur, Leitung, Team, Person

Bei Neutralisierungen werden alle Geschlechtsidentitäten angesprochen. Diese Variante ist konform mit der amtlichen Rechtschreibung und barrierefrei für Blinde und Sehbehinderte.


Die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten bleibt durch Partizipialkonstruktionen evtl. unsichtbar. Während bei Varianten wie Mitarbeiter:innen oder Mitarbeiter*innen sowohl die männliche als auch die weibliche grammatische Form sichtbar sind und darüber hinaus ein Symbol (Genderstar, Gender-Doppelpunkt) den Raum für weitere Geschlechtsidentitäten öffnet, bleibt bei der Form Mitarbeitende das Geschlecht vollkommen unsichtbar. Je nach Kontext ist dies explizit gewünscht, doch manche Gruppen bevorzugen es, die verschiedenen Geschlechter explizit zu benennen, um gerade Frauen und nicht-binäre Personen stärker sichtbar zu machen. Die Unsichtbarkeit von Geschlecht kann also sowohl Vor- als auch Nachteil sein.
Nicht immer funktioniert die Neutralisierung. Im Singular ist sie häufig nicht mehr geschlechtsneutral, z.B.:

Plural: die Beschäftigten (neutral), aber Singular: der Beschäftigte vs. die Beschäftigte

Auch stilistisch gibt es Kritik: Neutralisierungen werden häufig eher passiv und distanziert gelesen, z.B. wenn Personen nicht Experten, Expertinnen, Expert:innen o.ä. genannt werden, sondern von ihrer Expertise die Rede ist. Vor allem in Textsorten, in denen Nähe und Emotionen wichtig sind (z. B. in der Werbung oder auf Social Media), wirkt die Neutralisierung nicht immer ansprechend. Hier ist also sprachliche Kreativität gefragt, z. B.: Wir suchen dich! Du hast eine hohe Expertise...

Fazit

Momentan lässt sich noch nicht abschätzen, welche Variante der gendergerechten Sprache sich durchsetzen wird. Wichtig ist es jedoch, anzuerkennen, dass gendergerechte Sprache ein ernstzunehmendes Sprachwandelphänomen ist, das sich nicht aufhalten lässt. In diesem Sinne raten wir allen Organisationen, sich – auch wenn es noch keine endgültige Normierung gibt - für eine Form zu entscheiden und diese einheitlich zu verwenden. Auch eine Erst- und Zweitstrategie ist möglich, z. B. Neutralisierung und Doppelpunkt. Denn nichts befeuert Gender-Gegner*innen mehr als Formen-Wildwuchs – und dieser stellt sich bei unklaren Empfehlungen sehr schnell ein!

 

 

Autorin
Portrait von Dr. Sabine Burel (Peter Jülich / Agentur Focus)

Dr. Simone Burel

Dr. Simone Burel ist promovierte Sprachwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der LUB GmbH – Linguistische Unternehmensberatung, Co-Founder der diversity company und eine der profiliertesten Expertinnen zu gendergerechter Sprache & Diversity in Deutschland. Für ihre Forschung und Praxisarbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wirtschaftsförderpreis der Stadt Mannheim. 

Mehr unter:
LUB GmbH – Linguistische Unternehmensberatung: https://lub-mannheim.de/
Diversity company: https://diversity-company.de/

 

 

Autorin
Portrait von Franziska Saur

Franziska Saur

Franziska Saur ist Expertin für gendergerechte Sprache und setzt sich für die Bereiche Diversity & Inclusion ein. In die Chatbot-Projekte von LUB bringt sie die linguistische Perspektive ein. Außerdem ist sie für die authentische Außenwirkung von LUB zuständig. Die studierte Germanistin, Bloggerin und „Digital Native“ koordiniert Website-Pflege, Social Media Präsenz und PR und betreut die LUB-Publikationen.

 

 

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Fußnoten:

inter / Intergeschlechtlichkeit: Menschen, die biologische Merkmale verschiedener Geschlechter aufweisen, z.B. in Bezug auf Anatomie, Chromosomen oder Hormone

LGBTQIA+: Akronym aus dem Englischen, steht für unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersexual und Asexual

nicht-binär: Bezeichnet eine Geschlechtsidentität, weder männlich noch weiblich. „Nicht-binär“ ist ebenso wie „divers“ eine Sammelbezeichnung für verschiedene Geschlechtsidentitäten wie z.B. genderfluid, agender, pangender etc.

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